LG Koblenz zur Verjährung bei Behandlungsfehlern und Amtshaftungsansprüchen gegen Berufsgenossenschaften
Das Landgericht Koblenz hat mit Urteil vom 26.09.2024 (Az. 1 O 219/23) die Klage eines ehemaligen Altenpflegers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen vermeintlicher Behandlungsfehler (Diagnosefehler) gegen die von uns vertretene Berufsgenossenschaft abgewiesen. Das Urteil beleuchtet wichtige Rechtsfragen zur Verjährung im Rahmen ärztlicher Behandlungsfehler.
Was war passiert?
Am 09. Juli 2018 zog sich der Kläger bei einem Unfall mit seinem Motorrad eine Verletzung am rechten Arm zu. Beim Versuch, das Motorrad aufzufangen, hörte er ein krachendes Geräusch im Arm und verspürte unmittelbar starke Schmerzen. Noch am selben Tag suchte er einen Durchgangsarzt im Krankenhaus auf, der nach einer Sonografie einen Muskelfaserriss im Pronator teres diagnostizierte und eine konservative Behandlung einleitete. Die Beschwerden besserten sich zunächst, sodass kein weiterer Verdacht auf eine schwerere Verletzung bestand. Am 23. August 2018 suchte der Kläger wegen anhaltender Schmerzen erneut einen Arzt auf, welcher ein MRT anordnete. Die MRT-Untersuchung am 28. August 2018 bestätigte einen kompletten Abriss der distalen Bizepssehne, der im Anschluss operiert werden musste. Im weiteren Verlauf entwickelte sich ein chronisches Schmerzsyndrom und erhebliche Bewegungseinschränkungen, die zur dauerhaften Berufsunfähigkeit führten.
Der Kläger war der Ansicht, dass der Durchgangsarzt am Unfalltag aufgrund der typischen Symptome (starke Schmerzen, eingeschränkte Motorik und Schwellung) den Riss der Bizepssehne hätte erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten müssen. Er erhob im Jahr 2023 Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden gegenüber der von uns vertretenen zuständigen Berufsgenossenschaft.
Das Landgericht wies die Klage wegen Verjährung ab. Nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und der dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Rechtliche Gesichtspunkte:
Das Gericht stellte fest, dass der Kläger bereits 2018 alle wesentlichen Umstände kannte, die den Lauf der Verjährung in Gang setzen: das Unfallereignis, die sofortigen Schmerzen, die Erstdiagnose, die endgültige Diagnose des Bizepssehnenrisses am 29. August 2018 sowie die notwendige operative Behandlung dieser. Der Kläger hatte bereits im Jahr 2018 Kenntnis davon, dass die verspätete Diagnose die Ursache für den andauernden Schmerzverlauf. Damit war ihm eine mögliche Fehlbehandlung sowie die Verknüpfung mit dem Unfallereignis bewusst. Die weiteren gesundheitlichen Folgen, wie die chronischen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, waren nach dem Grundsatz der Schadenseinheit ebenfalls von dieser Kenntnis umfasst, da sie bei verständiger Würdigung voraussehbar waren. Die Verjährungsfrist begann daher mit Schluss des Jahres 2018 an zu laufen und endete mit Schluss des Jahres 2021.
Ein Schlichtungsverfahren, welches der Kläger im Jahr 2022 einleitete, konnte die Verjährung nicht hemmen, da es einerseits ohnehin erst nach Ablauf der Verjährungsfrist eingleitet wurde und sich zudem nicht gegen die jetzige Beklagte sondern gegen eine andere medizinische Einrichtung richtete. Das Gericht betonte, dass trotz der grundsätzlich patientenfreundlichen Rechtsprechung zur Verjährung hier das Wissen des Klägers aus dem Jahr 2018 ausreichte, um den Beginn der Verjährungsfrist zu begründen. Entscheidend war, dass der Kläger bei verständiger Würdigung bereits 2018 hätte erkennen können, dass seiner Ansicht nach möglicherweise ein Behandlungsfehler vorlag, der zu den gesundheitlichen Beschwerden führte.
Zusammenfassung:
- Die dreijährige Verjährungsfrist begann mit dem Schluss des Jahres 2018, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangte. Diese Umstände umfassten das Unfallgeschehen, die unmittelbar folgenden Beschwerden, die anfängliche Fehldiagnose und die erst später festgestellte Schwere der Verletzung und deren konkrete Behandlungsbedürftigkeit.
- Der Grundsatz der Schadenseinheit führte dazu, dass der Kläger auch die späteren gesundheitlichen Folgen als voraussehbare Konsequenzen einbeziehen musste und sich nicht darauf berufen konnte, dass sich dieser Verlauf ja erst später zeigte und daher auch erst spätere Kenntnis aller anspruchsbegründenden Tatsachen vorlag.
- Trotz der hohen Anforderungen an den Beginn der Verjährung bei ärztlichen Behandlungsfehlern wurde hier aufgrund der klaren Kenntnislage die Verjährung angenommen.
Das vollständige Urteil steht hier für Sie zum Download bereit.