Keine großzügige Verteilung von Haftungsprivilegien nach §§ 104 ff. SGB VII auf Baustellen
Zum Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main vom 27.10.2021, Az.: 12 U 293/20
Für eine Unfallversicherungsträgerin haben wir Regressansprüche aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht gegen eine Bauträgerin und ein Rohbauunternehmen erfolgreich durchgesetzt. Das Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main entschied, dass Haftungsprivilegien nach §§ 104 ff. SGB VII auf einer Baustelle nicht einfach und pauschal zu bejahen sind.
Eine Bauträgerin errichtete mit demselben Rohbauunternehmen als Subunternehmer mehrere Einfamilienhäuser. Das Rohbauunternehmen hatte das erste Haus fertiggestellt und zunächst für eine ordnungsgemäße Treppenhausabdeckung gesorgt. Der Bauleiter der Bauträgerin wies nun während des Rohbaus des zweiten Hauses Mitarbeiter der Rohbaufirma an, die Treppenhausabdeckung im ersten Haus wieder zu entfernen, um dort Innenputzarbeiten zu ermöglichen. Mit diesen Innenputzarbeiten war wiederum eine andere Subunternehmerin beauftragt. Ein Mitarbeiter dieser Innenputzfirma stürzte beim erstmaligen Betreten des Hauses Nr. 1 mehrere Meter tief in den völlig ungesicherten Treppenschacht und verletzte sich schwer. Dieser Arbeitsunfall wurde von einer Berufsgenossenschaft entschädigt, die daraufhin mit einer Haftungsquote von 75 % Regress nehmen wollte.
Das Landgericht Darmstadt als erstinstanzliches Gericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen, weil es allen Beklagten entweder Haftungsprivilegien nach den §§ 104 ff. SGB VII zubilligte oder aus Rechtsgründen keine Haftung sah.
Das OLG Frankfurt am Main, Zivilsenate Darmstadt, sah dies zurecht anders. Da es für die Beklagten keine Haftungsprivilegien gab, holte es die zu Unrecht unterbliebene Beweisaufnahme nach. Das OLG Frankfurt hat dann – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten und (im Wege einer gestörten Gesamtschuld) einer Mitverantwortlichkeit der Innenputzfirma von insgesamt einem Drittel – der Klage der Berufsgenossenschaft auf Schadensersatz gegen die Bauträgerin und den Rohbauunternehmer mit einer Haftungsquote von zwei Dritteln zu Recht stattgegeben.
In den Entscheidungsgründen des beigefügten Urteils sind überdurchschnittlich viele Rechtsfragen (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, Anwendbarkeit der Haftungsprivilegien nach §§ 104 ff. SGB VII auf Baustellen, Bindungswirkung gem. § 118 SGB X) thematisiert und überzeugend beantwortet worden, die sich über den Regress von Sozialversicherungsträgern hinaus auch bei Prozessen der Geschädigten selbst stellen. Wir empfehlen daher die Lektüre dieser interessanten Entscheidung, welche Sie hier finden.