Zur Erforderlichkeit prothetischer Versorgung

Wieder einmal dürfen wir für unsere Mandantschaft im Prozess führen, in welchem weder die Haftung dem Grunde nach noch die unfallbedingten Folgen, sondern allein die Erforderlichkeit von Aufwendungen streitig war. Und wieder einmal wurde von einem Gericht entschieden, dass die Korrektheit nicht nach dem Belieben des Haftpflichtversicherer (oder dessen Dienstleister) richtet, sondern danach, was ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten, zur Behebung des Schadens für zweckmäßig und angemessen halten durfte.

Sachverhalt

Im konkreten Fall folgendes:

Ein Versicherter unserer Mandantschaft, ein Landwirt, erlitt bei einem Unfall eine schwere Verletzung des rechten Unterschenkels, welche im weiteren Verlauf eine Amputation des Beines unterhalb des Knies notwendig machte. Unstreitig wurde der Unfall vom Unfallgegner allein verschuldet.

Die Aufwendungen der Klägerin, der zuständigen Unfallversicherung, wurden von der später beklagten Haftpflichtversicherung laufend reguliert. Im weiteren Verlauf machte Klägerin sodann Aufwendungen für eine Wechselprothese geltend. Diese war notwendig, da der Versicherte nach wie vor als Landwirt tätig war. Die Arbeit in der Landwirtschaft führte zu erheblichen Verschmutzungen Stallgeruch an seiner prothetischen Versorgung. Daher wurde Geschädigten eine Wechselprothese für das private Umfeld bewilligt, da der Versicherte sonst die Prothese hätte täglich mehrfach und langwierig reinigen müssen, um die Verschmutzungen und den Stallgeruch zu entfernen.

Die Beklagte wies die Forderung zurück, da sie der Ansicht war, dass eine Doppelversorgung nicht notwendig sei.

Das Landgericht Memmingen gab unserer Klage nun mit Urteil vom 06.09.2024, Az.: 32 O 184/24, voll statt und folgte dabei letztendlich unserer Auffassung. Das Landgericht Memmingen führte aus:

Erforderlichkeit der Wechselversorgung

„Gemäß § 249 I BGB ist der Schädiger verpflichtet denjenigen Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Zur Naturalrestitution bei Personenschäden gehören Maßnahmen, die zwar keine Heilung, wohl aber eine Linderung des Leidens bewirken können oder in anderer Weise medizinisch geboten sind. Diesbezüglich schuldet der Schädiger gegenüber dem Geschädigten unter anderem künstliche Gliedmaße (MüKoBGB/Oetker BGB § 249 Rn. 341). Ersatzfähig sind daher diejenigen Kosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten, zur Behebung des Schadens für zweckmäßig und angemessen halten durfte (BGH, Urteil vom 15-10-1991 – VI ZR 314/90 = NJW 1992, 302, 303; BGH, Urteil vom 20-06-1989 – VI ZR 334/88= NJW 1989, 3009.); bei Personenschaden kann die ausgleichsberechtigte Person grundsätzlich den Weg zur Schadenabhilfe wählen, der ihren Interessen aus ihrer Sicht am besten entspricht. Als Maßstab für Maßnahmen oder erforderliche Aufwendungen bei Personenschäden ist eine Orientierung am sozialrechtlichen Leistungsgefüge vorzunehmen. Gemäß § 4 II Nr. 1 SGB I hat der Versicherte Anspruch auf notwendige Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur  Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit; dieser Anspruch entspricht in der Regel auch der Erforderlichkeit des § 249 BGB Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Wimber BGB § 249 Rn. 461).

Der Wunsch des Geschädigten bezüglich zweier Prothesen, entspricht seinem verständlichen und berechtigten Bestreben nach möglichst weitgehender Wiederehrstellung seiner ursprünglichen Lebensqualität. Der Geschädigte ist Landwirt und arbeitet vollständig in seinem Betrieb. Als Landwirt hat er viel im Stall zu tun und ist täglich Verschmutzungen und Stallgerüchen ausgesetzt. Die tägliche Reinigung einer Prothese ist mit großem Aufwand verbunden und dem Geschädigten unzumutbar. Es ist davon auszugehen, dass nach einem Duschvorgang am menschlichen Körper keine Stallgerüche oder sonstige Verschmutzungen bleiben. Der Geschädigte ist jedoch nicht mehr in der Lage, einen Duschvorgang wie vor dem Unfall durchzuführen. Neben dem hygienischen Aspekt ist auch zu berücksichtigen, dass er als Landwirt durch enorme körperliche Arbeit sehr viel Kraft aufwenden muss, die durch eine tägliche intensive Reinigung noch verstärkt wäre. Dies beeinträchtigt nicht nur seine Arbeitskraft, sondern auch die Teilnahme an seinem privaten Leben. Eine nur doppelte Anfertigung der Kniekappe und des Liner sind nicht ausreichend, da die Prothese trotzdem nach der Arbeit gereinigt werden muss. Das Wechseln von Liner und Kniekappe, sowie Reinigung der Prothese ist ein enormer Zeit- und Kraftaufwand für den Geschädigten. Diese Beeinträchtigungen bestünden bei einer Ersatzprothese nicht, sodass diese gem. § 249 II S.1 BGB erforderlich ist.

Eine Ersatzprothese ist mit seiner früheren Lebensrealität am vergleichbarsten. Der Schadensersatzbetrag soll soweit wie möglich einen dem früheren möglichst gleichwertigen Zustand herstellen. Da dies bei irreversiblen körperlichen Beeinträchtigungen nicht möglich ist, hat der Schädiger dafür zu sorgen, dass die Lebensqualität des Geschädigten nicht unter dem früheren Standard sinkt (BGH Urt. v. 20.01.2004- VI ZR 46/03 = NJW-RR 2004, 671, 672). Die Prothese ist für den Geschädigten ein notwendiges medizinisches Hilfsmittel zur Teilnahme im Beruf und im Alltag. Sie dient dazu, die körperliche Behinderung auszugleichen und die Lebensführung des Geschädigten zu erleichtern. Ein gesunder Mensch hat zwei Beine, die er belasten und beanspruchen kann, um am Leben teilzuhaben. Dies ist dem Geschädigten nicht mehr möglich. Eine Ersatzprothese ist nicht nur notwendig aufgrund der Gerüche und Verschmutzungen durch die landwirtschaftliche Arbeit, sondern auch, weil sie durch Benutzung beschädigt werden kann.

Die Beklagte trägt selbst vor, dass Prothesen nach fünf bis sechs Jahren vollständig erneuert werden müssen aufgrund der absinkenden Funktionalität. Es ist davon auszugehen, dass der Verschleiß bei landwirtschaftlicher Arbeit höher ist. Gerade vor diesem Hintergrund ist eine Wechselprothese erforderlich gem. § 249 II S.1 BGB.

Die landwirtschaftliche Arbeit erfordert enorme körperliche Kraft und findet viel im Freien statt, daher ist die Prothese auch Witterungsverhältnissen ausgesetzt. Durch die Schädigung hat der Geschädigte ein gesteigertes Bedürfnis, den Lebensstil aufrechtzuerhalten, den er vor dem schädigenden Ereignis gewohnt war.“

Das vollständige Urteil steht für Sie in anonymisierter Form hier zum Download bereit.