Wiederholter Verjährungseinredeverzicht als Verlängerung des ursprünglichen Verzichts
Wir erreichten vor dem Oberlandesgericht Stuttgart folgende Entscheidung: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in seinem Urteil vom 21.06.2018 – 13 U 18/18 entschieden, dass ein Verjährungseinredeverzicht im Lichte einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung zu betrachten ist und ein wiederholt erklärter Verzicht bezüglich desselben Anspruches in der Regel als Verlängerung des ursprünglichen Verzichtes zu verstehen ist.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin als gesetzliche Unfallversicherungsträgerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus übergegangenem Recht aufgrund eines Verkehrsunfalls ihres Versicherten aus dem Jahre 1986 (§ 116 SGB X i.V.m. §§ 7, 10 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F.). Die Beklagte regulierte die Forderungen der Klägerin (bzw. deren Rechtsvorgängerin) zuletzt mit einer Zahlung am 27.06.1989. Da die Rechtsvorgängerin der Klägerin über diesen Zeitpunkt hinaus zunächst keine Aufwendungen mehr hatte, bat sie die Beklagte erstmals mit Schreiben vom 16.01.1992, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Dieser Bitte kam die Beklagte mit Schreiben vom 30.01.1992 mit einem uneingeschränkten Verzicht nach. In der Folgezeit wurden wiederholt Verjährungseinredeverzichte von der Beklagten eingeholt, zuletzt bis zum 31.12.2010.
Mit Schreiben vom 15.06.2010 bat nunmehr die Klägerin die Beklagte, „weiterhin langfristig auf die Einrede der Verjährung zu verzichten“. Hierauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 19.08.2010 und erklärte unter Bezugnahme auf das Schreiben der Klägerin vom 15.06.2010, „bis zum 31.12.2013 auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich künftiger Ansprüche zu verzichten, sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist“. Da der Klägerin in der Folgezeit wiederum keine weiteren Aufwendungen entstanden, bat sie die Beklagte mit Schreiben vom 28.06.2013 erneut, „weiterhin langfristig auf die Einrede der Verjährung zu verzichten“. Auch hierauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 03.07.2013 unter Bezugnahme auf das klägerische Schreiben vom 28.06.2013, „bis zum 31.12.2016 auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich künftiger Ansprüche zu verzichten, sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist“.
Als der Klägerin im Jahre 2014 wieder Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen aus dem Jahre 1986 entstanden, machte sie diese bei der Beklagten geltend. Es folgten Diskussionen zwischen den Parteien darüber, ob die Aufwendungen der Klägerin tatsächlich unfallbedingt seien oder nicht. Die Klägerin erbrachte diesbezüglich wiederholt Nachweise, zuletzt im Jahre 2015. Mit Schreiben vom 29.06.2015 teilte die Beklagte dann überraschend mit, dass sie von der Verjährung sämtlicher klägerischer Ansprüche ausgehe. Begründet wurde dies damit, dass die Verjährungseinredeverzichte vom 19.08.2010 und vom 03.07.2013 jeweils unter der Bedingung erklärt worden seien, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist. Da ein Verjährungseinredeverzicht aber bekanntlich keinen Einfluss auf den Ablauf der Verjährungsfrist habe, sei Verjährung bereits im Jahre 1995 eingetreten.
Das Oberlandesgericht Stuttgart ist dieser Auffassung entschieden entgegengetreten:
Entscheidend für die Frage, welchen Sinngehalt ein Verjährungseinredeverzicht hat, ist die verobjektivierte Sicht des Empfängers. Im vorliegenden Fall maßgeblich war, wie die Erklärungen der Beklagten vom 19.08.2010 und 03.07.2013 im Lichte der vorausgegangenen Anfragen der Klägerin vom 15.06.2010 und 28.06.2013 nach ihrem Wortlaut, der Systematik, dem (mutmaßlichen) Willen ihres Verfassers und der Teleologie aus der Sicht eines verobjektivierten Empfängers in der Situation der Klägerin (§§ 133, 157 BGB) zu verstehen/auszulegen sind. Anhand dieser Kriterien entschied das Oberlandesgericht Stuttgart, dass die Interessenslage beider Parteien dahingehend bestehe, dass die Beklagte ihren ursprünglich erklärten Verjährungseinredeverzicht verlängern und die Klägerin somit einer alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung ihres Anspruchs entheben wollte. Das OLG Stuttgart ging davon aus, dass die Beklagte ihren Erklärungen erst nachträglich einen Sinn beilegen wollte, die keine der Parteien bei der Abgabe bedacht haben.